Anschauen, nicht anfassen: Macht das Internet den Wert von Designer-Möbeln kaputt? Rede und Antwort von einem, der nicht nur Möbel auspackt.
ud: Herr Huemer, 32 Jahre Designermöbel in München...
FRANZ HUEMER: Das liegt in der Familie: Eine Schreinerei in der vierten Generation, ich selbst bin Schreiner und Innenarchitekt. 1980 startete ich und gründete 1996 zusammen mit meinem Partner, Herrn Neuhauser den ersten Artemide-Shop in München. Das Internet hat die Lichtgeschichte kaputtgemacht. Sie kriegen online alles angeboten, nachgeschmissen noch dazu. Alle Hersteller sind auf jeder Plattform mit dabei. Seit etwa fünf Jahren konzentrieren wir uns auf Möbel und Planung.
Weg vom lokalen Geschäft ins Internet. Was halten Sie von dieser Entwicklung im Möbelhandel?
Wir haben unseren Online-Shop Ende letzten Jahres aufgepeppt. Der Friedel Wetscher von Möbel Wetscher aus Tirol hat mal zum Kunden gesagt: “Wenn wir alles, was Sie sich so vorstellen, hier ausstellen möchten, dann brauchen wir 400.000 qm. Die haben wir nicht – so einfach ist das.“ Wir stellen auch Artikel aus unserem neuen Sortiment nach einem Monat in used-design ein.Man hat ja nie die richtige Farbe, den passenden Stoff des Artikels im Laden stehen. Der Artikel verliert immer mehr an Wert, je länger er den Laden hütet. Dann lieber online preiswerter verkaufen...
used design-Interview
mit Franz Huemer, “die einrichtung im lehel”
Wie sind Sie auf used-design gekommen?
Über die Homepage eines Mitbewerbers, während ich recherchierte, wie andere ihre Ausstellungsstücke verkaufen. Dieser Händler hatte nicht einmal einen eigenen Online-Shop – nur die Verlinkung mit used-design.
Ihre Erfahrung mit used-design?
Unkompliziert. Das einzige “Problem” bei Einzelstücken ist, dass Kunden eventuell – mehr brauchen. Und über die Schiene haben wir uns dann auch schon Kunden ins Haus gezogen. Ich sage dann, wenn das so unkompliziert ist, kriegen Sie halt einen entsprechenden Rabatt – fertig. Dann gibt's den einen Stuhl zum used-design-Preis und die restlichen immer noch vergünstigt, das sehe ich nicht so eng.
Aber will man den Sessel nicht erst Probe sitzen, bevor man dafür 2000 Euro und mehr bezahlt?
Ich denke, der Kunde hat die Artikel davor schon entdeckt. Man googelt, man yahoot. Wenn vor 20 Jahren ein Hersteller etwas mit Philippe Starck, Bonetti & Garouste machte, dann musste man das haben. Heute interessiert das keinen mehr – jeder sagt, das kostet dann zu viel. Warum soll ich für eine Vase 6000 Euro ausgeben?
Sie können ein Lied davon singen, wie schnell der Kunde “Dollar-Augen” kriegt, wenn er nur an Online-Shopping denkt...
Darunter leiden alle Premium-Hersteller. Den Kunden interessiert das nicht: Toller Laden – toll, dass Sie hier so viel Miete zahlen und einen Espresso gibt's obendrauf. Der Kunde kommt hierher zum Gucken und geht dann ins Netz. Aber ein Online-Shop muss keine Schnäppchenjagd sein – im Gegenteil: Der Kunde soll sich über das Preisniveau vorab informieren können. Bo Konzept macht in seinen Katalogen Preisangaben – ein Möbel kostet ab soundsoviel. Andererseits habe ich schon mal einen langjährigen Geschäftspartner verloren, weil ich seine Artikel online gestellt hatte. Das entsprach nicht seiner Unternehmens-Philosophie...
Und dennoch bleibt Online-Shopping ein Reizthema bei den meisten Design-Artikeln...
Reizthema würde ich nicht sagen. Es ist so, dass man sich über alles Neue am Anfang ärgert. Ein Stammkunde erzählte mir neulich begeistert: “Ich findet es toll, dass Poltrona Frau jetzt eine App bietet. Ich sitze in meinem Fitnessraum und blättere in meinem I Pad.”
Dann erwirbt man also auch Ihre Designer-Möbel – etwa T & P, Trecu, De la Espada - irgendwo im Internet?
Nein, meine Hersteller sind dafür zu klein. Die finden Sie auch nicht auf einer Messe. De la Espada verkauft weltweit und lässt in Portugal produzieren. Die Holzverarbeitung ist der Hammer.
Kann man Planung und Online-Shopping unter einen Hut bringen?
Schwierig. Am liebsten hätte ich einen kleinen, schicken Showroom – mit allen virtuellen Möglichkeiten ausgestattet, die es gibt. Der Kunde besucht uns online und kommt dann mit seinen Maßen in das Studio. Eine Geschichte, die mich schon vor über zehn Jahren faszinierte. Damals erzählte mir ein Verkaufsleiter von Artemide: “Mein Laden für die Zukunft wäre, in einer super Lage einen super Shop zu machen, wo der Kunde alles virtuell betrachtet”. Dann können Sie sagen, das Sideboard ist mir jetzt doch zu groß, das machen wir kleiner und höher. Ich möchte es in Blau haben und innen in Grün.
Die “Stars” der Branche verkaufen also die großen Häuser der Branche?
Heute baut man bei Kartell einen Stuhl und zählt, wieviel tausend aus der Maschine hinten rausfallen. Dass Philippe Starck den Stuhl designed hat, kommt positiv hinzu. Das Ganze für 154 Euro.
Und noch ein Schnäppchen: Der neue Vitra Tipton – was halten Sie davon?
Finde ich klasse. Allein die Idee, das Preis-Leistungsverhältnis, die Materialien. Sie können nicht weniger und nicht mehr weglassen. Genial.
Form follows function oder umgekehrt?
Das ist auch eine Frage der Zeit. Ein Möbel aus Polykarbonat konnte man früher nicht herstellen.
Tradition und Klassik, Moderne und Avantgarde – ein Widerspruch?
Einen Großteil der neuen Möbel braucht leider keiner. Und es gibt Dinge aus der Vergangenheit – siehe Vitra Home Collection – die wieder ausgegraben werden. In den alten Sachen ist mehr Gefühl und Handwerk im Spiel. Es gibt den zögerlichen, konservativen Typ Kunden, der aller Hand Antiquariat von seiner Großmutter geerbt hat. Da kann man mutig sein und kombinieren, man muss es nur wollen. Das ist überhaupt kein Widerspruch: mal einen anderen, modernen Tisch oder Stuhl...
Was inspiriert Sie auf der Suche nach Trends?
Witzigerweise schaue ich mir meistens Modezeitschriften an – oder eine Haute Couture-Show von Karl Lagerfeld. Die haben immer die Nase vorn – Farben, Dekoration. Wenn Weiß dominiert, kann man mit Sicherheit sagen, dass die nächste Saison nicht rot wird. Von Lagerfeld geht's dann weiter zu H & M und Zara... Ein bestimmter Farbtrend kommt auch irgendwann in die Wohnung rein – außer ich wohne am Tegernsee und sterbe in meiner Zirbelstube...
Und neben der Haute Couture?
Vitra hat ein Design-Museum auf dem eigenen Betriebsgelände. Da will jeder Designer reinkommen – und gibt für seine Prototypen die Rechte ab. Die Vitra Home Collection legt Entwürfe neu auf, die es vor 30, 40 Jahren gegeben hat. Ich fragte Dr. Fehlbaum (Vitra-Gründer, Anm. d. Red.) mal auf einer Messe, wie das funktioniert. Er meinte, “Sie brauchen viel Zeit und viel Geld”.
Sind nicht etwa Messen Inspirations-Quelle Nummer eins - speziell für Ihre Kunden?
Schwierig, ich war nicht in Köln und ich werde nicht nach Mailand fahren. Messen kann man nicht mit Einrichten verbinden. Erstens werden keine Artikel aus der bestehenden Kollektion gezeigt. Zweitens ist alles so spektakulär aufgepeppt... Wie wollen Sie in einer Halle Wohnathmosphäre schaffen? Eine Kundin sagte mir, dass ihr auf der Mailänder Messe nichts gefallen hatte. Als sie den Mailänder Flagship Store von Poltrona Frau in der Via Moscova besuchte, war sie plötzlich von einem Möbel begeistert, das sie auch in der Messehalle gesehen hatte.
Mal grundsätzlich: Wo liegen die Wurzeln überragenden Möbel-Designs?
Citterio oder Phillippe Starck haben spektakuläre Dinge nicht in München gemacht, sondern in London, Paris, New York. Wir fangen mit Design-Hotels gerade mal an, Jahrzehnte später. Schauen Sie mal nach München: Da hat man abgestimmt, dass nichts höher werden darf als die Frauenkirche – geht's noch?
Hand auf's Herz: Welche Designer haben Sie persönlich beeindruckt?
Corbusier passt immer, Bauhaus auch. Ein Highlight, das vor 20 Jahren keiner kannte, war Marc Newson. Wir haben damals eine Ausstellung in München mit ihm gemacht.
Zum Abschluss die Gretchenfrage: Ist Möbel-Design Kunst oder eher Kommunikation – also ein Instrument, das ankommen und verkaufen muss?
Also das wird dann sehr konsumlastig, dann sind wir bei IKEA oder sonstwo...
Ein prominentes Beispiel, das wie H&M oder Zara eher im Ruf eines Copyshops steht, oder?
Die haben auch überall einen Designer – ob Sie den kennen oder nicht. Auf jeder Alm treibt sich so 'ne Kuh rum, die den gleichen Namen hat.